5.11.2017
Die Population hochenergetischer Protonen in der Umgebung des Saturns entwickelt sich unabhängig vom Sonnenwind – und somit deutlich anders als auf der Erde.
Die Aktivität der Sonne – und mit ihr die Stärke des Sonnenwindes – folgt einem etwa elfjährigen Zyklus. Um den langfristigen Einfluss des Sonnenwindes auf die Strahlungsgürtel eines Planeten zu untersuchen, braucht man somit einen langen Atem. „Hätte Cassini tatsächlich – wie zunächst vorgesehen – nur vier Jahre im Saturnsystem verbracht, wären wir nie zu den aktuellen Ergebnissen gelangt“, erklärt Dr. Elias Roussos vom MPS. Zum Glück wurde die Mission mehrfach verlängert. So konnte der Teilchendetektor MIMI-LEMMS (Magnetospheric Imaging Instrument – Low Energy Magnetospheric Measurement System) an Bord von Cassini die Verteilung geladener Teilchen in der Umgebung des Saturns über einen Zeitraum aufzeichnen, der einen kompletten Sonnenzyklus umfasst. „Solch umfangreiche in-situ-Daten zum Strahlungsgürtel eines Planeten gibt es ansonsten nur von der Erde“, so MPS-Forscher Dr. Norbert Krupp, der das MIMI-LEMMS-Team leitet.
Wie die Cassini-Daten zeigen, sind die Ausmaße der Protonen-Strahlungsgürtel des Gasriesen gigantisch: Sie reichen vom innersten Ring des Planeten bis zur Umlaufbahn des Mondes Tethys – und damit mehr als 285.000 Kilometer ins Weltall. Ein entscheidender Unterschied zur Erde: Während unser Mond weit außerhalb der irdischen Magnetosphäre und der irdischen Strahlungsgürtel seine Bahnen zieht, enthalten die des Saturns mehrere seiner Trabanten – etwa die großen Monde Janus, Mimas und Enceladus. „Die Saturnmonde prägen den Strahlungsgürtel entscheidend“, so Krupp. Auf die hochenergetischen Teilchen, besonders auf die Protonen, wirken sie wie eine Art Grenzwall: Jegliche Protonen, die von ihrem Entstehungsort weiter nach innen diffundieren, werden beim Zusammentreffen mit einem Mond absorbiert und somit aufgehalten. „Auf diese Weise entstehen Bereiche im Strahlungsgürtel, die fast völlig von einander isoliert sind“, so Roussos. Bei der Erde hingegen speisen vor allem Teilchen, die weiter außen entstehen und dann nach Innen wandern, den inneren Teil des Strahlungsgürtels.
Im Fall der Erde haben die hochenergetischen Teilchen, welche die Strahlungsgürtel bilden, zweierlei Ursprünge. Einige werden direkt vom Sonnenwind eingetragen. Andere lassen sich auf den Einfall kosmischer Strahlung zurückführen. Trifft diese Strahlung auf die Atmosphäre des Planeten, setzt dies eine Kette von Reaktionen in Gang, an deren Ende hochenergetische Elektronen und Protonen entstehen. Da der Sonnenwind die kosmische Strahlung teilweise abschirmt und so moduliert, spielt die Aktivität der Sonne auch bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle.
Im Saturnsystem ist dies anders. „Zwar konnten wir bereits in den ersten Jahren der Cassini-Mission beobachten, dass der Sonnenwind dramatische Veränderungen in der Magnetosphäre des Saturns bewirkt konnte“, so Roussos. „Doch dieser direkte Einfluss endet abrupt an der Umlaufbahn des Mondes Tethys.“
Dennoch deutete zunächst alles darauf hin, dass der Sonnenwind auch die Strahlungsgürtel mitgestaltet – wenn auch nur indirekt: Die ersten Jahre der Cassini-Mission fielen mit einem Abfall der Sonnenaktivität zusammen; die Intensität der Strahlungsgürtel stieg wie erwartet an. In der Zeit von 2010 bis 2012 zeigte sich jedoch ein deutlicher Abfall der Intensität. Dieser lässt sich nicht auf den deutlich langsamer veränderlichen Sonnenwind zurückführen. Und auch Sonnenstürme, heftige Teilchen- und Strahlungsausbrüche von der Sonne, können nicht verantwortlich sein. Solche Stürme sorgen zwar auf der Erde immer wieder für einen schlagartigen Intensitätseinbruch. Wie umfangreiche Simulationen der Forscher zeigen, können sie den beobachteten, jahrelangen Abfall jedoch nicht erklären.
Die Wissenschaftler machen vielmehr energiereiche ultraviolette Strahlung, sogenannte EUV-Strahlung, von der Sonne für den Effekt verantwortlich. Diese Strahlung kann die Atmosphäre eines Planeten lokal aufheizen. Die so entstehenden turbulenten Winde übertragen diese Information in die Ionosphäre, die ihrerseits durch das Magnetfeld des Planeten die Magnetosphäre beeinflusst. Im Ergebnis verteilen sich die Protonen in den Strahlungsgürteln deutlich effizienter als sonst um. Beim Saturn treffen sie auf ihrem Weg nach Innen jedoch auf Monde, die sie sozusagen „absaugen“: Die Intensität der Strahlungsgürtel nimmt dadurch deutlich ab. „Wir beobachten, dass der Intensitätsabfall in den Protonen-Strahlungsgürteln des Saturn exakt mit starken Änderungen in der EUV-Strahlung von der Sonne zusammenfällt“, beschreibt Roussos die jüngsten Ergebnisse. Es ist also möglich, dass die Sonne dem Strahlungsgürtel des Gasriesen durchaus ihren Stempel aufdrückt – wenn auch nicht durch den Sonnenwind.
„Unsere Analysen erinnern uns zudem, wie stark die Eigenschaften der Strahlungsgürtel vom Aufbau des jeweiligen Planetensystems, also im Fall des Saturns von der Lage und Anzahl der Monde, abhängen“, so Roussos. Diese Erkenntnis könnte auch für einen Blick über den Rand des Sonnensystems hinaus hilfreich sein: Falls sich in Zukunft die Strahlungsgürtel eines Exoplaneten aufspüren lassen, könnten diese Daten indirekt auch Informationen über den Aufbau des Systems enthalten.
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Saturn's Radiation Belts: A Stranger to the Solar Wind
The high energy proton population in the environment of Saturn develops independently of the solar wind - and thus in a considerably different way from the one on Earth.
The activity of the Sun – and with it the strength of the solar wind – follows an eleven-year cycle. Investigating the long term influence of the solar wind on a planet’s radiation belts therefore requires patience – and space missions of a considerable length. "If Cassini’s mission to the Saturn system had ended after four years, as initially planned, we would never have been able to achieve these results," explains Dr. Elias Roussos of the MPS. Fortunately, the mission was extended several times. The Magnetospheric Imaging Instrument (MIMI) with its high energy particle detector (LEMMS) on board Cassini was therefore able to record the distribution of charged particles in the vicinity of Saturn over a period of time that includes a complete solar cycle. "Such extensive in-situ data on the radiation belts of a planet are otherwise only available for Earth," says MPS researcher Dr. Norbert Krupp, who heads the MIMI-LEMMS team.
As data from Cassini show, Saturn’s proton radiation belts are gigantic: they reach from the planet’s innermost ring to the orbit of the moon Tethys – and thus more than 285,000 kilometers into space. A decisive difference to Earth: while our moon is located far beyond the limits of the magnetosphere and the radiation belts, Saturn’s radiation belts contain several of its satellites, such as the large moons Janus, Mimas, and Enceladus. "Saturn’s moons influence the radiation belts decisively," says Krupp. They act as a kind of boundary wall on very energetic particles, particularly protons. Any protons diffusing further inwards from their place of origin are absorbed and thus stopped when they interact with a moon. "This creates areas in the radiation belt which are completely isolated from one another," says Roussos. Unlike Saturn, particles arising outside Earth’s radiation belts may travel inward and replenish its content.
On Earth, the high-energy particles that form the radiation belts have two origins. Some are provided directly by the solar wind. Others result from incident protons of extreme energy originating from our Galaxy, called Galactic Cosmic Rays. When Galactic Cosmic Rays reach the planet’s atmosphere, it sets in motion a chain of reactions, at the end of which high-energy electrons and protons are created. Since the solar wind partially shields and thus modulates this cosmic radiation, the Sun’s activity also plays a decisive role in this process.
In the Saturnian system this is different. "In the first years of the Cassini mission, we observed that the solar wind could cause dramatic changes in Saturn’s magnetosphere," says Roussos. "However, this direct influence stopped abruptly at the orbit of the moon Tethys."
Nevertheless, at first everything indicated that the solar wind still helps to shape the radiation belts – if only indirectly: the first years of the Cassini mission coincided with a decline in the Sun's activity; the intensity of the radiation belts increased as expected. In the period from 2010 to 2012, however, there was a rapid intensity drop that could not be attributed to the solar wind modulation of Galactic Cosmic Rays, which changes on much longer timescales. And also solar storms, violent eruptions of particles and radiation from the Sun, could not have been responsible. While time and again on Earth such events cause a sudden decline of intensity, extensive simulations performed by the researchers show, that this effect can also not explain the year-long decrease witnessed by Cassini.
Rather, the scientists suspect that extreme ultraviolet radiation from the Sun may be responsible. This radiation can locally heat the atmosphere of a planet. The resulting turbulent winds transmit this information to the ionosphere which is “anchored” to the magnetosphere through the planet’s magnetic field. As a result, the protons in the radiation belts spread out much more efficiently than usual. On their way, they encounter Saturn’s moons and are absorbed: the intensity of the radiation belts thereby decreases significantly. "We observe that the intensity drop in the proton radiation belts of Saturn coincides exactly with strong changes in the EUV radiation from the Sun," Roussos describes the new results. It is therefore possible that while the solar wind has no impact on the radiation belts, the Sun still may.
"Our analyses also remind us how strongly the properties of the radiation belts depend on the structure of the particular planet system, that is, the position and number of moons for the case of Saturn", says Roussos. This knowledge could also be helpful for a glance beyond the edge of the solar system: if in the future the radiation belts of an exoplanet could be detected, these data could also indirectly contain information about the system’s properties and structure.
Quelle: MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT, MÜNCHEN