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Astronomie - Seltsames Verhalten eines Sterns offenbart Schwarzes Loch, das sich in riesigem Sternhaufen verbirgt

18.01.2018

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Astronomen unter der Leitung von Benjamin Giesers von der Georg-August-Universität Göttingen haben mit dem MUSE-Instrument der ESO am Very Large Telescope in Chile einen Stern in dem Sternhaufen NGC 3201 entdeckt, der sich sehr seltsam verhält. Es scheint ein unsichtbares Schwarzes Loch mit etwa der vierfachen Masse der Sonne zu umkreisen - das erste inaktive Schwarze Loch mit stellarer Masse, das in einem Kugelsternhaufen gefunden wurde, und gleichzeitig auch das erste, das durch den direkten Nachweis seiner Anziehungskraft gefunden wurde. Diese wichtige Entdeckung wirkt sich auf unser Verständnis der Entstehung dieser Sternhaufen, Schwarzer Löcher allgemein und dem Ursprung von Gravitationswellenereignissen aus.

Kugelsternhaufen sind riesige, kugelförmige Ansammlungen von Zehntausenden von Sternen, die die meisten Galaxien umkreisen. Sie gehören zu den ältesten bekannten Sternsystemen im Universum und gehen auf den Beginn des Wachstums und der Evolution von Galaxien zurück. Mehr als 150 Kugelsternhaufen, die zur Milchstraße gehören, sind derzeit bekannt.

Einer dieser Sternhaufen, NGC 3201 im südlichen Sternbild Vela (das Segel des Schiffs Argo), wurde jetzt mit dem MUSE-Instrument am Very Large Telescope der ESO in Chile näher untersucht. Ein internationales Astronomenteam mit starker deutscher Beteiligung hat festgestellt, dass sich einer der Sterne [1] in NGC 3201 sehr merkwürdig verhält – er wird mit Geschwindigkeiten von mehreren hunderttausend Kilometern pro Stunde hin- und hergeschleudert, wobei sich dieses Muster alle 167 Tage wiederholt [2].

Erstautor Benjamin Giesers von der Georg-August-Universität Göttingen war von dem Verhalten des Sterns fasziniert: "Er umkreiste etwas vollkommen Unsichtbares, das eine Masse hatte, die mehr als viermal so groß war wie die Sonne – das kann nur ein Schwarzes Loch sein! Das erste Schwarze Loch in einem Kugelsternhaufen übrigens, das sich direkt über seine Anziehungskraft bemerkbar gemacht hat."

Die Beziehung zwischen Schwarzen Löchern und Kugelsternhaufen ist bedeutsam, aber auch geheimnisvoll. Aufgrund ihrer großen Massen und ihres großen Alters geht man davon aus, dass diese Sternhaufen eine große Anzahl von Schwarzen Löchern mit stellaren Massen erzeugt haben – sie sind im Laufe des langen Lebens des Sternhaufens entstanden, immer dann wenn massereiche Sterne explodiert und die Überreste in sich zusammengefallen sind [3] [4].

Das MUSE-Instrument der ESO bietet Astronomen die einzigartige Möglichkeit, die Bewegungen von Tausenden von weit entfernten Sternen gleichzeitig zu messen. Mit dieser neuen Entdeckung ist es dem Team erstmals gelungen, ein inaktives Schwarzes Loch im Herzen eines Kugelsternhaufens zu entdecken – ein Schwarzes Loch, das sich derzeit keine Materie einverleibt und nicht von einer hell leuchtenden Gasscheibe umgeben ist. Sie konnten die Masse des Schwarzen Lochs durch die Bewegungen eines Sterns ergründen, der durch die enormen Gravitationskraft des Schwarzen Lochs gefangen ist [5].

Aus den Beobachtungen lässt sich ermitteln, dass der Stern die 0,8-fache der Masse unserer Sonne hat, während sich für die Masse seines mysteriösen Gegenstücks das 4,36-fache der Masse der Sonne ergeben hat - mit ziemlicher Sicherheit also ein Schwarzes Loch[6].

Kürzlich erfolgte Nachweise von Radio- und Röntgenquellen in Kugelsternhaufen sowie die Detektion von Gravitationswellensignalen, die durch das Zusammenführen von zwei Schwarzen Löchern mit Sternmasse erzeugt wurden, deuten darauf hin, dass diese relativ kleinen Schwarzen Löcher in Kugelsternhaufen häufiger vorkommen könnten als bisher angenommen.

Giesers schlussfolgert: "Bis vor kurzem ging man davon aus, dass fast alle Schwarzen Löcher nach kurzer Zeit aus den Kugelsternhaufen verschwinden würden und dass solche Systeme gar nicht existieren sollten! Aber offensichtlich ist dies nicht der Fall – unsere Entdeckung ist der erste direkte Nachweis der Gravitationswirkung eines Schwarzen Lochs in einem Kugelsternhaufen. Diese Erkenntnis hilft, die Entstehung von Kugelhaufen und die Entwicklung von Schwarzen Löchern und entsprechenden Binärsystemen nachzuvollziehen, was für das Verständnis von Gravitationswellenquellen unerlässlich ist."

Endnoten

[1] Der gefundene Stern befindet sich am Abknickpunkt der Hauptreihe, damit befindet er sich am Ende der langen Hauptreihenphase seines Lebens. Nachdem er seinen Wasserstoffvorrat aufgebraucht hat, ist er nun auf dem Weg, ein Roter Riese zu werden.

[2] Derzeit wird mit Unterstützung des MUSE-Konsortiums der ESO eine umfangreiche Untersuchung von 25 Kugelsternhaufen rund um die Milchstraße durchgeführt. Die Astronomen erhalten darüber Spektren von 600 bis 27.000 Sternen in jedem dieser Sternhaufen. Die Studie beinhaltet die Analyse der sogenannten Radialgeschwindigkeit einzelner Sterne - die Geschwindigkeit, mit der sie sich entlang der Sehlinie des Betrachters in Richtung zur Erde und von ihr wegbewegen. Mit solchen Radialgeschwindigkeitsmessungen können die Umlaufbahnen von Sternen und die Eigenschaften von massereichen Objekten, die sie umkreisen, bestimmt werden.

[3] Findet keine kontinuierliche Sternentstehung statt, so wie es bei Kugelhaufen der Fall ist, werden Schwarze Löcher mit der Sternmasse bald zu den massereichsten Objekten, die es gibt. Im Durchschnitt sind stellare Schwarze Löcher der Kugelsternhaufen etwa viermal so massereich wie die sie umgebenden massearmen Sterne. Neuere Theorien kommen zu dem Schluss, dass die Schwarzen Löcher einen dichten Kern innerhalb des Sternhaufens bilden, der sich dann vom Rest des kugelförmigen Materials löst. Die Bewegungen im Zentrum des Sternhaufens katapultieren dann die meisten Schwarzen Löcher aus dem Haufen heraus, so dass nur wenige von ihnen nach einer Milliarde Jahren überlebt haben.

[4] Stellare Schwarze Löcher der Sternmasse - auch Kollapsare genannt - entstehen, wenn massereiche Sterne sterben, unter ihrer eigenen Schwerkraft zusammenbrechen und als mächtige Hypernovae explodieren. Zurück bleibt ein Schwarzes Loch mit einem Großteil der Masse des ehemaligen Sterns, das von der mehrfachen Masse unserer Sonne bis hin zu mehreren Dutzend Mal so massereich reichen kann.

[5] Da auch Licht nicht in der Lage ist, der enormen Schwerkraft Schwarzer Löcher zu entkommen, ist die primäre Methode, sie zu nachzuweisen, die Beobachtung von Radio- oder Röntgenstrahlung, die von heißem Material um sie herum ausgeht. Wenn aber ein Schwarzes Loch nicht mit heißer Materie interagiert und somit keine Masse ansammelt oder Strahlung abgibt, wie in diesem Fall, ist das Schwarze Loch "inaktiv" und unsichtbar, so dass eine andere Nachweismethode erforderlich ist.

[6] Da das nicht-leuchtende Objekt in diesem Binärsystem nicht direkt beobachtet werden kann, gibt es alternative, wenn auch weniger überzeugende Erklärungen dafür, um was es sich handeln könnte. In Frage käme zum Beispiel ein Dreifachsystem, das aus zwei eng aneinander gebundenen Neutronensternen besteht, um die sich der beobachtete Stern kreist. Dieses Szenario würde erfordern, dass jeder der beiden Neutronensterne mindestens die doppelte Masse unserer Sonne hat, ein solches Doppelsystem wurde aber noch nie beobachtet.

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Odd Behaviour of Star Reveals Lonely Black Hole Hiding in Giant Star Cluster

Astronomers using ESO’s MUSE instrument on the Very Large Telescope in Chile have discovered a star in the cluster NGC 3201 that is behaving very strangely. It appears to be orbiting an invisible black hole with about four times the mass of the Sun — the first such inactive stellar-mass black hole found in a globular cluster and the first found by directly detecting its gravitational pull. This important discovery impacts on our understanding of the formation of these star clusters, black holes, and the origins of gravitational wave events.

Globular star clusters are huge spheres of tens of thousands of stars that orbit most galaxies. They are among the oldest known stellar systems in the Universe and date back to near the beginning of galaxy growth and evolution. More than 150 are currently known to belong to the Milky Way.

One particular cluster, called NGC 3201 and situated in the southern constellation of Vela (The Sails), has now been studied using the MUSE instrument on ESO’s Very Large Telescope in Chile. An international team of astronomers has found that one of the stars [1] in NGC 3201 is behaving very oddly — it is being flung backwards and forwards at speeds of several hundred thousand kilometres per hour, with the pattern repeating every 167 days [2].

Lead author Benjamin Giesers (Georg-August-Universität Göttingen, Germany) was intrigued by the star’s behaviour: “It was orbiting something that was completely invisible, which had a mass more than four times the Sun — this could only be a black hole! The first one found in a globular cluster by directly observing its gravitational pull.

The relationship between black holes and globular clusters is an important but mysterious one. Because of their large masses and great ages, these clusters are thought to have produced a large number of stellar-mass black holes — created as massive stars within them exploded and collapsed over the long lifetime of the cluster [3][4].

ESO’s MUSE instrument provides astronomers with a unique ability to measure the motions of thousands of far away stars at the same time. With this new finding, the team have for the first time been able to detect an inactive black hole at the heart of a globular cluster — one that is not currently swallowing matter and is not surrounded by a glowing disc of gas. They could estimate the black hole’s mass through the movements of a star caught up in its enormous gravitational pull [5].

From its observed properties the star was determined to be about 0.8 times the mass of our Sun, and the mass of its mysterious counterpart was calculated at around 4.36 times the Sun’s mass — almost certainly a black hole [6].

Recent detections of radio and X-ray sources in globular clusters, as well as the 2016 detection of gravitational-wave signals produced by the merging of two stellar-mass black holes, suggest that these relatively small black holes may be more common in globular clusters than previously thought.

Giesers concludes: “Until recently, it was assumed that almost all black holes would disappear from globular clusters after a short time and that systems like this should not even exist! But clearly this is not the case — our discovery is the first direct detection of the gravitational effects of a stellar-mass black hole in a globular cluster. This finding helps in understanding the formation of globular clusters and the evolution of black holes and binary systems — vital in the context of understanding gravitational wave sources.

Notes

[1] The star found is a main sequence turn-off star, meaning it is at the end of the main sequence phase of its life. Having exhausted its primary hydrogen fuel supply it is now on the way to becoming a red giant.

[2] A large survey of 25 globular clusters around the Milky Way is currently being conducted using ESO’s MUSE instrument with the support of the MUSE consortium. It will provide astronomers with the spectra of 600 to 27 000 stars in each cluster. The study includes analysis of the “radial velocity” of individual stars — the speed at which they move away from and toward the Earth, along the line of sight of the observer. With radial velocity measurements the orbits of stars can be determined, as well as the properties of any massive object they may be orbiting.

[3] In the absence of continuous star formation, as is the case for globular clusters, stellar-mass black holes soon become the most massive objects present. Generally, stellar-mass black holes in globular clusters are about four times as massive as the surrounding low-mass stars. Recent theories have concluded that black holes form a dense nucleus within the cluster, which then becomes detached from the rest of the globular material. Movements at the centre of the cluster are then thought to eject the majority of black holes, meaning only a few would survive after a billion years.

[4] Stellar-mass black holes — or collapsars — are formed when massive stars die, collapsing under their own gravity and exploding as powerful hypernovae. Left behind is a black hole with most of the mass of the former star, which can range from a few times the mass of our Sun to several tens of times as massive.

[5] As no light is able to escape black holes because of their tremendous gravity, the primary method of detecting them is through observations of radio or X-ray emissions coming from hot material around them. But when a black hole is not interacting with hot matter and so not accumulating mass or emitting radiation, as in this case, the black hole is “inactive” and invisible, so another method of detection is required.

[6] Because the non-luminous object in this binary system cannot be directly observed there are alternative, although much less persuasive, explanations for what it could be. It is perhaps a triple star system made up of two tightly bound neutron stars, with the observed star orbiting around them. This scenario would require each tightly bound star to be at least twice the mass of our Sun, a binary system that has never been observed before.

Quelle: ESO

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