4.09.2017
Kosmisches Verkehrsaufkommen, abgelenkte Kometen, und ein genauer Blick auf die Auslöser kosmischer Katastrophen
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Bild des Kometen C/2012 S1 (ISON), aufgenommen mit dem TRAPPIST-Süd-Teleskop am La Silla-Observatorium der ESO im Jahre 2013. Dieser Komet stammt wahrscheinlich aus der Oort'schen Wolke, befindet sich aber definitiv nicht auf Kollisionskurs mit der Erde. Er zeigt das typische Erscheinungsbild von Kometen, die im inneren Sonnensystem ankommen: einen riesigen Schweif aus Gas und Staub.
Aus Daten des ESA-Astrometriesatelliten Gaia präzise physikalische Kenngrößen von Himmelsobjekten zu bestimmen ist das Tagesgeschäft von Coryn Bailer-Jones vom Max-Planck-Institut für Astronomie – als Leiter derjenigen Arbeitsgruppe des Gaia-Datenanalyse-Konsortiums, die für die Bestimmung astrophysikalischer Parameter zuständig ist. Aber jenseits von dieser Rolle innerhalb der Gaia-Mission beschäftigt sich Bailer-Jones seit geraumer Zeit mit einer ganz bestimmten Anwendung solcher Daten: der Untersuchung der früheren und zukünftigen Begegnungen unserer Sonne mit anderen Sternen und der Auswirkungen solcher Stern-Vorbeiflüge für katastrophale Kollisionen von Kometen mit unserem Heimatplaneten.
Kometen, die mit der Erde zusammenstoßen, gehören zu den gefährlicheren kosmischen Katastrophen für unsere kosmische Heimat. Der bekannteste kosmische Zusammenstoß trug vor 66 Millionen Jahren zum Aussterben der Dinosaurier bei (wenn auch nicht sicher ist, ob es sich in diesem spezifischen Fall um einen Kometen oder einen Asteroiden handelte).
Immerhin sind Zusammenstöße mit regionalen oder gar globalen Folgen heutigem Wissen nach sehr selten – auf jede Jahrmillion kommt im Schnitt nicht mehr als ein solcher Einschlag. Zumindest die größeren Kometen und Asteroiden werden von den bestehenden Warnsystemen recht vollständig erfasst, und keiner davon befindet sich auf Kollisionskurs mit der Erde.
Trotzdem sind die Folgen möglicher Kometeneinschläge so ernst, dass die Erforschung der Hintergründe solcher Einschläge durchaus von praktischem Interesse sind. Eine besondere Rolle kommt dabei Sternbegegnungen zu, also Sternen, die durch die kosmische Nachbarschaft unserer Sonne fliegen. Unserem heutigen Bild des Sonnensystems nach befinden sich in den Außenbereichen, der sogenannten Oort'schen Wolke, zahlreiche kalte, eisige Objekte – potenzielle Kometen. Der Schwerkraft-Einfluss eines vorbeiziehenden Sterns kann einige dieser Objekte ablenken und sie ins innere Sonnensystem lenken und möglicherweise auf einen Kollisionskurs mit der Erde. Solche Sternbegegnungen zu verstehen ist daher wichtig, um das Risiko von Kometeneinschlägen richtig einschätzen zu können.
Jetzt hat Bailer-Jones die erste systematische Abschätzung für die Häufigkeit solcher Sternbegegnungen veröffentlicht. Das neue Ergebnis nutzt Daten der ersten Datenveröffentlichung (DR1) der Gaia-Mission, welche die neuen Gaia-Messungen mit älteren Messwerten des ESA-Astrometriesatelliten Hipparcos kombinieren. Entscheidend ist dabei, dass Bailer-Jones jeden Kandidaten für eine Sternbegegnung als eine Art Wolke virtueller Sterne modellierte und so berücksichtigen konnte, wie die vorhandenen Messunsicherheiten den abgeleiteten Häufigkeitswert für die Sternbegegnungen beeinflussen.
Bailer-Jones fand, dass binnen einer Million Jahre typischerweise zwischen 490 und 600 Sterne mit Abständen von 16,3 Lichtjahren oder weniger an der Sonne vorbeifliegen werden. (16,3 Lichtjahre entsprechen 5 Parsec, in der unter professionellen Astronomen üblichsten Entfernungseinheit). Zwischen 19 und 24 Sterne kommen der Sonne sogar auf 3,26 Lichtjahre (1 Parsec) oder weniger nahe. All diese hunderte von Sternen würden nahe genug an der Oort-Wolke vorbeifliegen, um Kometen ins innere Sonnensystem ablenken zu können. Die neuen Ergebnisse sind von derselben Größenordnung wie frühere, weniger systematische Abschätzungen. Sie zeigen, dass rund um das Sonnensystem recht starker stellarer Verkehr herrscht.
Die neuen Ergebnisse gelten für die letzten und für die kommenden fünf Millionen Jahre. Mit Gaias nächster Datenveröffentlichung DR2, die für April 2018 erwartet wird, sollten sie sich auf die letzten und die nächsten 25 Millionen Jahre erweitern lassen. Astronomen, die darüber hinausgehen und herausfinden wollen, welcher Stern möglicherweise dafür verantwortlich ist, einen Kometen auf die Dinosaurier zu lenken, müssen dazu allerdings noch viel mehr über unsere Heimatgalaxie und deren Massenverteilung wissen – ein langfristiges Ziel der Forscher, die sich mit Gaia und verwandten Projekten befassen.
Quelle: MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT, MÜNCHEN