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Astronomie - Der Pfeifennebel wie er noch nie zuvor zu sehen war

 

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Eines der bekanntesten Werke des Malers René Magritte ist „Der Verrat der Bilder“. Es zeigt eine Pfeife zusammen mit dem Schriftzug „Dies ist keine Pfeife”, der besagen soll, dass ein Bild eines Objektes nicht gleichwertig mit dem Objekt selbst ist. Auch diese Aufnahme hier ist keine Pfeife, sondern ein Bild von Barnard 59, einem Teil einer auch als Pfeifennebel bekannten, ausgedehnten interstellaren Dunkelwolke. Das Bild wurde mit dem Wide Field Imager am MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop am La Silla-Observatorium der ESO aufgenommen und wird von der ESO heute, am 45. Todestag Magrittes, zu Ehren des Malers veröffentlicht.

Der Pfeifennebel ist typischer Vertreter der sogenannten Dunkelwolken. Ursprünglich gingen die Astronomen bei dieser Objektklasse davon aus, es mit Bereichen des Weltraums zu tun zu haben, die frei von Sternen sind. Erst später wurde klar, dass es sich in Wirklichkeit um dichte Wolken aus interstellarem Staub handelt, die das Licht der dahinterliegenden Sterne verdunkeln. Die Silhouette des Pfeifennebels ist vor dem Hintergrund der dichten Sternwolken nahe dem Zentrum der Milchstraße im Sternbild Ophiuchus (der Schlangenträger) besonders gut zu erkennen.

Barnard 59, das Mundstück der „Pfeife“ des Pfeifennebels, steht im Zentrum dieser neuen Aufnahme des Wide Field Imagers am MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop. Der auffällige Dunkelnebel, der eine komplexe Struktur aufweist, ist zwischen 600 und 700 Lichtjahre von der Erde entfernt.

Der Nebel trägt den Namen des amerikanischen Astronomen Edward Emerson Barnard, der Dunkelwolken mithilfe von Langzeitbeelichtungen als erster systematisch dokumentierte und dabei erkannte, dass es sich um Staubwolken handelt. Barnard katalogisierte insgesamt 370 Dunkelnebel, die über den ganzen Himmel verteilt sind. Als ein außergewöhnlicher Beobachter mit extrem guten Augen lieferte er Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gleich eine ganze Reihe wertvoller Beiträge zu diversen Bereichen der Astronomie. Vom Preisgeld für die Entdeckung mehrerer Kometen konnte er sich sogar ein Haus kaufen.

Beim Betrachten des Nebelbildes dürfte die Aufmerksamkeit zunächst auf dessen Zentrum gezogen werden, wo dunkle, verzwirbelte Wolken an die Beine einer riesigen Spinne erinnern, die in ihrem Netz aus Sternen sitzt. Schnell wird der Blick dann allerdings auf die vielen feinen Details gelenkt: rauchige Strukturen, die inmitten des Dunkels von Sternen aufgehellt werden, die gerade erst im Entstehen begriffen sind. Solche Sterngeburten sind typische Vorkommnisse im Inneren der dichten Molekülwolken, aus denen die Dunkelnebel bestehen. Gas und Staub bilden unter dem Einfluss der Schwerkraft Klumpen, die daraufhin mehr und mehr Materie anziehen – so lange, bis die Verklumpung genügend Masse besitzt, um ein Stern zu werden. Im Vergleich mit anderen Dunkelwolken entstehen in Barnard 59 allerdings vergleichsweise wenig Sterne, und der Nebel enthält noch viel ungebundenen Staub.

Bei genauerem Hinsehen bemerkt der Betrachter über das gesamte Bild verteilt etwa ein Dutzend kleiner blauer, grüner und roter Striche. Das sind die Spuren von Asteroiden Gesteinsbrocken mit einer Größe von maximal ein paar Kilometern, die die Sonne umlaufen und sich dabei im Vordergrund ins Bild geschoben haben. Die meisten von ihnen befinden sich im Asteroidengürtel, der zwischen den Umlaufbahnen der Planeten Mars und Jupiter liegt. Barnard 59 ist etwa zehn Millionen mal so weit von der Erde entfernt wie diese kleinen Himmelskörper.

Als letztes sollte sich der Betrachter bewusst werden, dass dies eine astronomische Miniatur ist: In Originalgröße am Nachthimmel kann man die auf der Aufnahme sichtbare Sternenlandschaft aufgrund der großen Entfernung zu Barnard 59 mit dem Daumen an der ausgestreckten Hand abdecken, und das, obwohl die Wolke eine Ausdehnung von über sechs Lichtjahren besitzt.

Endnoten

[1] Zum Pfeifennebel gehören außer Barnard 59 noch Barnard 65, 66, 67 und 78. Bei dunklem, klarem Himmel ist der Nebel leicht mit bloßem Auge auszumachen. Die besten Beobachtungsbedingungen herrschen allerdings in südlicheren Gegenden, da er dort höher über dem Horizont steht.

[2] Asteroiden bewegen sich während der Belichtungszeit der einzelnen Aufnahmen und erzeugen daher sogenannte Strichspuren. Da das hier gezeigte Farbbild aus mehreren Schwarzweißaufnahmen entstanden ist, die mit verschiedenen Farbfiltern aufgenommen wurden, sind die farbigen Strichspuren gegeneinander versetzt.

Weitere Informationen

Das MPG/ESO 2,2-Meter-Teleskop wurde 1984 in Betrieb genommen und ist eine Leihgabe der Max-Planck-Gesellschaft an die ESO. Sein Wide Field Imager, eine astronomische Kamera mit besonders großem Blickfeld und einem Detektor mit 67 Millionen Pixeln, liefert Bilder, die nicht nur von wissenschaftlichem, sondern auch von ästhetischem Wert sind.

Im Jahr 2012 feiert die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) das 50-jährige Jubiläum ihrer Gründung. Die ESO ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch ihre 15 Mitgliedsländer: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner für den Aufbau des Antennenfelds ALMA, das größte astronomische Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop der 40-Meter-Klasse für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird, das European Extremely Large Telescope (E-ELT).

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsstaaten (und einigen weiteren Ländern) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.

Quelle:ESO

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