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Eine neue Studie mit dem Very Large Telescope (VLT) der ESO hat gezeigt, dass die meisten besonders hellen und massereichen Sterne, die auch maßgeblich die Entwicklung von Galaxien beeinflussen, keine Einzelsterne sind. Drei Viertel davon, weit mehr als bisher angenommen, haben einen nahen Begleitstern, mit dem es zu zum Teil dramatischen Wechselwirkungen kommt. Dabei kann z.B. Sternmaterie von einem Stern zum anderen strömen. In einem Drittel der Fälle ist sogar zu erwarten, dass die Paare eines Tages zu einem einzigen Stern verschmelzen. Die Ergebnisse der Studie werden am 27. Juli 2012 in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
Ein internationales Astronomenteam hat das VLT verwendet, um sogenannten O-Sterne zu untersuchen, die sehr hohe Temperaturen, große Massen und Leuchtkräfte aufweisen und sich damit stark von unserer Sonne unterscheiden [1]. Sterne dieses TypsSolche Sterne haben ein kurzes, aber spektakuläres Leben und spielen eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung ihrer Heimatgalaxien. Auch im Zusammenhang mit extremen Phänomenen wie „Vampirsternen“, bei denen ein kleiner Begleiter Materie von seinem größeren Nachbarn absaugt, oder sogenannten Gamma Ray Bursts treten Sterne dieses Typs auf.
“Diese Sterne sind absolute Monster”, erklärt Hugues Sana von der Universiteit van Amsterdam, in den Niederlanden, der Erstautor der Studie. “Sie haben mindestens die fünfzehnfache Masse der Sonne und bis zu einer Million mal ihre Leuchtkraft. Sie sind so heiß, dass sie in strahlend blau-weißem Licht scheinen. Ihre Oberflächentemperatur liegt bei über 30.000°C.”
Mit dem VLT untersuchten die Astronomen eine Stichprobe von 71 einzelnen O-Sternen und Sternpaaren in sechs nahegelegenen und jungen galaktischen Sternhaufen. Der Großteil der Beobachtungen wurde mit dem Very Large Telescope der ESO durchgeführt.
Indem sie das Licht ihrer Beobachtungsobjeke genauer als je zuvor analysierten [2], fanden die Astronomen heraus, dass 75% aller O-Sterne Teil eines Doppelsternsystems sind. Das ist ein detlich höherer Anteil als bisher vermutet, und die erste genaue Bestimmung des Anteils an Sternpaaren überhaupt. Noch schwerer fällt ein weiteres Ergebnis der Studie ins Gewicht: Auch der Anteil der Sternpaare mit so geringem Abstand, dass Wechselwirkungen zwischen den Partnern möglich werden – das Überströmen von Sternmaterie bei „Vampirsternen“ oder sogar das Verschmelzen der beiden Sterne – ist weit höher als bisher angenommen. Dieser Befund ist von großer Wichtigkeit für unser Verständnis der Entwicklung von Galaxien.
Nur ein Bruchteil eines Prozents aller Sterne im Universum sind O-Sterne. Doch aufgrund der dramatischen Phänomene, die bei Sternen dieses Typs auftreten, haben sie eine überproportional hohe Wirkung auf ihre Umgebung haben: Die Sternwinde der O-Sterne und die Schockwellen, die sie ausbilden, können die Entstehung neuer Sterne sowohl anregen als auch verhindern. Die intensive Strahlung dieser Sterne bringt Gasnebel zum Leuchten. Supernova-Explosionen am Ende ihres Lebens reichern die Galaxien mit denjenigen schweren chemischen Elementen an, die für die Entstehung von Leben unverzichtbar sind. Auch mit den energiereichsten Vorgängen im Universum überhaupt - den Gamma Ray Bursts – stehen die O-Sterne wahrscheinlich in Verbindung. Sterne dieses Typs spielen also in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Galaxien.
„Der Lebensweg eines Sterns hängt sehr stark davon ab, ob er Teil eines Doppelsternsystems ist”, erläutert Selma de Mink vom Space Telescope Science Institute in den USA, eine Koautorin der Studie. „Wenn beide Sterne sich auf sehr engen Bahnen umkreisen, können sie eines Tages miteinander verschmelzen. Aber selbst wenn das nicht geschieht, fließt oft Materie von einem zum anderen Stern über.”
Die Verschmelzung von Sternen, die nach den Schätzungen der Forscher für 20-30% der O-Sterne bevorsteht, ist ein spektakuläres Ereignis. Aber selbst der vergleichsweise harmlose Fall der „Vampirsterne“, der bei weiteren 40-50% auftritt, hat großen Einfluss auf die Entwicklung der beteiligten Partner.
Bisher waren die Astronomen der Ansicht, dass massereiche Doppelsterne mit engen Umlaufbahnen Ausnahmefälle seien, die man nur benötigt, um exotische Phänomene wie Röntgendoppelsterne, Doppelpulsare und Binärsysteme von Schwarzen Löchern zu erklären. Die neue Studie rückt dieses vereinfachte Bild vom Universum zurecht und zeigt: Schwergewichtige Doppelsterne sind nicht nur häufig, sondern ihr Lebensweg verläuft auch signifikant anders als bei Einzelsternen.
Beispielsweise erfährt bei den „Vampirsternen“ der masseärmere Stern eine Art Verjüngungskur, da er frischen Wasserstoff von seinem Begleiter abzieht. Dabei erhöht sich seine eigene Masse beträchtlich; als Folge davon währt sein Leben insgesamt viel länger als das eines Einzelsterns gleicher Masse, und typischerweise länger als das seines Begleitsterns. Der anfangs massereichere Begleiter – das stellare „Opfer“ des Vampirs – wird dagegen seiner äußeren Schichten beraubt, bevor er Gelegenheit hat, zu einem leuchtkräftigen roten Überriesen zu werden. Stattdessen wird sein heißes, bläulich leuchtendes Inneres freigelegt.
Beide Effekte können die Sternpopulation einer weit entfernten Galaxie viel jünger erscheinen lassen, als sie eigentlich ist: Sowohl die verjüngten Vampirsterne als auch ihre ausgezehrten Opfer werden heißer und blauer, und ähneln so dem Erscheinungsbild viel jüngerer Sterne. Wer ferne Galaxien verstehen will, muss daher die tatsächliche Häufigkeit von wechselwirkenden massereichen Doppelsternen zu kennen. [3]
„Die einzige Information, die wir Astronomen von weit entfernten Galaxien erhalten, ist das Licht, das unsere Teleskope erreicht. Ohne bestimmte Annahmen über die Quellen dieses Lichts können wir keine Rückschlüsse auf die Galaxien ziehen, also zum Beispiel auf ihre Masse oder ihr Alter. Unsere Studie zeigt, dass die häufig gemachte Annahme, die meisten Sterne seien Einzelsterne, zu falschen Schlussfolgerungen führen kann”, schließt Hugues Sana.
Weitere Arbeiten werden nötig sein, um herauszufinden, wie groß die beschriebenen Effekte sind, und wie stark sich unser Bild von der Entwicklung der Galaxien ändern wird, wenn man sie einbezieht. Die exakte Modellierung von Doppelsternsystemen ist sehr komplex. Entsprechend dürfte es noch einige Zeit dauern, bis die neuen Erkenntnisse in die Modelle der Galaxienentwicklung eingearbeitet sind.
Endnoten
[1] Die meisten Sterne (die sogenannten Hauptreihensterne) werden anhand von Spektraltyp oder Farbe klassifiziert. Dieser wiederum steht mit der Masse und Oberflächentemperatur des Sterns im Zusammenhang. Von Blau (die heißesten und massereichsten Hauptreihensterne) nach Rot (am masseärmsten und kühlsten) lautet die übliche Sequenz O, B, A, F, G, K und M. O-Sterne haben Oberflächentemperaturen von 30.000 Grad Celsius oder mehr und erscheinen dem Auge strahlend blauweiß. Sie haben 15 oder mehr Sonnenmassen.
[2] Mitglieder eines Doppelstern- oder Binärsystems umkreisen sich oft derart dicht beieinander, dass es unmöglich ist, sie direkt als zwei getrennte Lichtpunkte am Himmel zu sehen. Das Astronomenteam war jedoch in der Lage, sie mit dem Ultraviolet and Visible Echelle Spectrograph (UVES) am VLT unter Verwendung spektroskopischer Methoden als Doppelsterne zu überführen. Spektrografen zerlegen das Licht eines Sterns in seine Spektralfarben, ähnlich wie ein Prisma das Sonnenlicht zu einem Regenbogenmuster zerlegen kann. Im Sternspektrum befinden sich dunkle Linien, die an einen Strichcode erinnern. Sie werden von chemischen Elementen in der Sternatmosphäre verursacht, die bestimmte Wellenlängen des Lichts absorbieren. Bei Einzelsternen finden sich diese sogenannten Absorptionslinien bei immer der gleichen Wellenlänge. In Doppelsternsystemen dagegen verschieben sich solche Linien gegeneinander, analog zu der Bewegung der beiden Sterne. Anhand des Ausmaßes dieser Linienverschiebung und ihrer Änderung während des Umlaufs können Astronomen die Bewegung der Sterne und somit ihre Umlaufbahnen zu rekonstruieren. Daraus geht hervor, ob die Bahnen eng genug sind, um Massenaustausch oder sogar eine Verschmelzung zu ermöglichen.
[3] Die Existenz einer so großen Zahl von „Vampirsternen“ passt auch gut zu einer weiteren, bisher unverstandenen Beobachtung: Etwa ein Drittel aller Sterne, die als Supernova explodieren, enthalten überraschend geringe Mengen Wasserstoff. Der relative Anteil dieser wasserstoffarmen Supernovae passt jedoch erstaunlich gut zum in der hier vorgestellten Studie gefunden relativen Anteil an Vampirsternen. Die Vampirsterne können zu wasserstoffarmen Supernovae führen, da dem stellaren Opfer seine wasserstoffreichen äußeren Schichten durch die Schwerkraft des Begleiters entzogen werden, bevor es zur Supernova wird.
Quelle: ESO
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