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Astronomie - Als ein Meteorit am Weihnachtsabend 1965 in England einschlug

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Dan Kendall ist Kurator des National Space Centre in Leicester und brachte zum 50-Jahr-Jubiläum des Falls ein Exemplar des Barwell-Meteoriten für einen Weihnachtsbesuch nach Hause.

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Am Weihnachtsabend 1965 schlug im englischen Barwell ein Meteorit ein. Fünfzig Jahre später kehrte ein großes Stück des Himmelskörpers für einen Tag nach Hause zurück Am Weihnachtsabend um etwa 16.15 Uhr schreckte ein heller Blitz am Himmel, gefolgt von einem lauten Knallen, die kleine Gemeinde Barwell auf. Joseph Grewcock, einer der Einwohner, sah, dass sein Fenster geborsten war, und hielt vor dem Haus Nachschau, wer ihm die Scheibe eingeworfen hatte. Er hob einen hellgrauen Stein neben einem kleinen Loch in der Straße auf und ließ ihn sofort wieder fallen: Das Stück war glühend heiß. Percy England stellte erbost fest, dass jemand offenbar mit einem Betonbrocken eine tiefe Delle in die Motorhaube seines brandneuen Vauxhall Viva geschlagen hatte. Er warf den rund drei Kilo schweren Stein weg und ärgerte sich über die Hooligans, die sein Eigentum verbeult hatten. Dieser Irrtum sollte Mr. England kurze Zeit später noch leidtun. Den Einwohnern Barwells wurde erst in den nächsten Tagen klar, was sich wirklich am frühen Abend des 24. Dezember 1965 in ihrer Ortschaft in Leicestershire in den englischen Midlands ereignet hatte: Ein Meteorit war mitten über England explodiert. Hätte der Einschlag über einem dichter besiedelten Gebiet stattgefunden, hätte das schwere Folgen haben können, wie im Februar 2013 der Chelyabinsk-Meteorit drastisch vor Augen führte. Bei dem Impakt in Russland wurden, hauptsächlich durch die Druckwelle, mehr als 1500 Menschen verletzt. Heimatbesuch Fünfzig Jahre später ärgert sich in Barwell niemand mehr über das extraterrestrische Objekt, ganz im Gegenteil. Der Gemeinderat hat mehrere Meteorwolken, also die Rauchspur eines Impaktors, in seinem Logo. Und am 12. Dezember fand ein großes Fest für den Barwell-Meteoriten statt. Für einen Tag kehrte eines der größten Bruchstücke zurück an seinen Einschlagsort. Der Methodistenpfarrer Andrew Murphy stellte seine Kirche für eine Ausstellung zur Verfügung, und Dan Kendall, der Kurator des National Space Centre in Leicester, brachte den 3,4 Kilogramm schweren Stein für einen Weihnachtsbesuch "nach Hause". Hunderte Einwohner Barwells kamen zum Austausch von Erinnerungen, eine Frau brachte sogar ein Exemplar des Meteoriten mit, das als Familienerbe seither in einer Lade aufbewahrt wurde. Für die Kinder, aber auch für Erwachsene wurde ein Modell- und Zeichenwettbewerb zum Thema "Weltraum" abgehalten. Ein "Act of God" Der Hooligan, der Mr. Grewcocks Scheibe eingeschlagen hatte, wurde knapp drei Wochen nach dem Impakt entdeckt. Er hatte sich in einer Vase mit Plastikblumen versteckt. Mr. England wandte sich unterdessen mit der Schadensmeldung des Autos an seine Versicherung. Diese teilte ihm mit, dass es sich bei dem Einschlag um einen "Act of God", also um höhere Gewalt handle und er daher keinen Anspruch auf Ersatz habe. England wandte sich daraufhin an die Kirche, denn wenn Gott verantwortlich war, müsste dessen irdische Vertretung für den Schaden aufkommen. Diejenigen Barweller, die ihre Funde nicht achtlos wegwarfen, hatten finanziell mehr Glück als Percy England, denn am 6. Jänner 1966 folgten die Weisen dem Weihnachtsstern nach Barwell. Dabei handelte es sich zwar nicht um die drei aus dem Morgenland, dafür aber um Experten des Museums und der Universität von Leicester, des British Museum of Natural History und des Geological Survey. Sie suchten vor Ort nach weiteren Fragmenten des Meteoriten und boten den Einwohnern an, ihnen ihre Funde abzukaufen. Damit lösten sie einen kleinen Goldrausch aus. Keith Platts, dessen Vater Harold einen Teil des Boliden in einem Loch auf einem Feld gefunden hatte, erinnert sich, dass die Steine um zehn Shilling pro Unze gehandelt wurden. Harold Platts verkaufte sein Exemplar schließlich um 39,50 Pfund an das Leicester Museum. Bei seinem Sohn Keith wurde durch die Ankunft des 4,5 Milliarden Jahre alten Steins wie bei vielen anderen erst das Interesse an der Astronomie geweckt. Insgesamt wurden rund 44 Kilogramm geborgen, wobei das größte Bruchstück 7,7 Kilogramm auf die Waage bringt. Zusammengesetzt ergaben die Einzelteile einen Stein mit der Größe eines Weihnachtstruthahns. Beim Eindringen in die Atmosphäre muss der Brocken aber bedeutend massiver gewesen sein und etwa die Größe eines Schreibtischs gehabt haben. Der Barwell-Meteorit ist ein relativ langweiliger Vertreter der Eindringlinge aus dem All. Als gewöhnlicher Chondrit gehört er zu der mit Abstand häufigsten Klasse: 87 Prozent aller bekannten Meteoriten werden hier dazugezählt. Dabei handelt es sich um Steinmeteoriten, die typische kugelige Einschlüsse aus geschmolzenen und wiedererstarrten Mineralen aufweisen – die Chondren. Innerhalb seiner Klasse zählt Barwell zu den L-Chondriten, einer Kategorie mit einem relativ geringen Eisenanteil von rund 21 Prozent, das "L" steht hierbei für "low". Die L-Chondriten stammen möglicherweise aus der Flora-Asteroidenfamilie, zu der auch der erdnahe Asteroid (433) Eros gehört. Eros ist der erste Asteroid, der von einer Raumsonde besucht wurde, und zählt daher zu den besterforschten Objekten seiner Art. Im Jahr 2000 umkreiste die Sonde NEAR Shoemaker den 34-Kilometer-Brocken und landete schließlich ein Jahr später – ein Meilenstein in der Asteroidenforschung. Auch der Meteorit, der an der Grenze zwischen Kreidezeit und Paläogen den Chicxulub-Krater schlug und den Dinosauriern den Garaus machte, könnte aus der Flora-Familie stammen. Begehrtes Objekt Aufgrund seiner Klassifikation ist der Barwell-Meteorit zwar keine Rarität. Doch das Datum seines Falls macht ihn ebenso zu einem begehrten Sammelobjekt wie die Tatsache, dass es sich dabei um den größten britischen Meteoriten handelt. Im Jahr 2009 wechselte bei einer Auktion ein rund 900 Gramm schweres Fragment um 8000 Pfund (rund 11.000 Euro) den Besitzer – ein überdurchschnittlicher Preis für einen gewöhnlichen Chondriten. Mit ein bisschen Glück kann man aber auch im Internet oder auf Börsen ein kleines Exemplar ergattern. Wer den Barwell-Meteoriten sehen will, muss sich wohl nach England begeben. In der ältesten Meteoritensammlung der Welt im Naturhistorischen Museum Wien ist jedenfalls kein Exemplar vorhanden – zum Bedauern von Ludovic Ferrière, dem Kurator der Wiener Kollektion. In den 1960er-Jahren verfügte das NHM kaum über die finanziellen Mittel, um seine Sammlung zu erweitern, und auch heute sind mit dem Ankaufsbudget keine großen Sprünge zu machen. Nicht nur Ferrière würde sich freuen, wenn zu Weihnachten ein Barwell-Exemplar oder auch ein anderer Meteorit im NHM landen würde.

Quelle: derstandard

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Quelle+Link: http://fernlea.tripod.com/barwell.html

http://www.lpi.usra.edu/meteor/metbull.php?code=4954

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Raumfahrt+Astronomie-Blog von CENAP 0