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Der Physiker Paul Steinhardt von der Princeton University mit einem Modell eines Quasikristalls. (Bild: Natalie Wolchover / Quanta Magazine)
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Brutstätte für natürliche Quasikristalle
Vor einigen Jahren entdeckten Forscher in einem Meteoritenfragment einen natürlichen Quasikristall. Neue Funde las- sen nun erahnen, unter welch höllischen Bedingungen dieser entstanden sein könnte.
Paul Steinhardt ist ein Mann mit vielseitigen Interessen. Bekannt geworden ist der theoretische Physiker von der Princeton University durch Beiträge zur Kosmologie. Doch in seiner Brust schlägt noch ein zweites Herz. Im Jahr 2011 stellte Steinhardt eine Expedition in den Fernen Osten Russlands auf die Beine, um in der Abgeschiedenheit des Korjakengebirges nach Meteoriten zu suchen. Die Forscher brachten von ihrer Expedition zwar nur neun winzige Bruchstücke zurück, von denen keines mehr als 0,01 Gramm wog. Doch die Körnchen haben es in sich. Wie die Forscher kürzlich im Fachmagazin «Nature Communications» berichtet haben, enthalten sie Mineralien, die noch nie zuvor in Meteoriten beobachtet wurden. Das deutet auf ungewöhnliche Prozesse im frühen Sonnensystem hin.
Der Abstecher Steinhardts in die geologische Feldforschung hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt im Jahr 1982, als im Labor des israelischen Materialwissenschafters Dan Shechtman erstmals Kristalle mit einer geordneten, aber aperiodischen Struktur synthetisiert werden konnten. Steinhardt prägte für diese Verbindungen den Begriff Quasikristall und lieferte zugleich eine Theorie zu ihrem Verständnis. Aus dieser folgte, dass Quasikristalle stabile Zustände der Materie sein können. Dem stand jedoch die Auffassung entgegen, Quasikristalle seien bei tiefen Temperaturen lediglich metastabil und würden früher oder später in gewöhnliche Kristalle übergehen.
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Das Meteoritenfragment, in dem erstmals ein natürlicher Quasikristall gefunden wurde, ist nur wenige Millimeter gross.(Luca Bindi / Naturhistorisches Museum Florenz)
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Inzwischen sieht Steinhardt seine Theorie als bestätigt an. Der Grund dafür ist ein Gesteinsfragment, das jahrelang unbeachtet im Naturhistorischen Museum der Universität Florenz gelegen hatte. Zusammen mit Luca Bindi von der Universität Florenz konnte Steinhardt im Jahr 2009 zeigen, dass das Fragment winzige Einschlüsse eines nahezu perfekten, aus Aluminium, Kupfer und Eisen bestehenden Quasikristalls enthält. Die Forscher nannten das Mineral Icosahedrit. Weitere Untersuchungen ergaben, dass das Gesteinsfragment zu einem Meteoriten gehörte, der vor 4,5 Milliarden Jahren im frühen Sonnensystem gebildet worden war. Damit war für Steinhardt erwiesen, dass Quasikristalle über kosmische Zeitskalen stabil sein können.
Offen blieb, unter welchen Bedingungen der Icosahedrit entstanden war. Es gab zwar klare Belege dafür, dass Teile des Meteoriten einem hohen Druck ausgesetzt waren. Die inzwischen arg ramponierte Probe habe aber keine weiteren Analysen zur Entstehungsgeschichte des Meteoriten erlaubt, sagt Steinhardt. In ihm und Bindi reifte deshalb der Entschluss, an den Fundort zurückzukehren, um dort nach weiteren Bruchstücken des gleichen Meteoriten zu suchen. Es kostete sie fast zwei Jahre, die Wege zu rekonstruieren, auf denen das Fragment ins Museum von Florenz gelangt war. Der Schlüssel zum Erfolg war, dass sie die Person ausfindig machen konnten, die das Fragment ursprünglich entdeckt hatte.
Die neun Fragmente, die die Forscher von ihrer Expedition zurückgebracht haben, sind von ihrer Zusammensetzung her sehr verschieden . Einige sind klar als Bruchstücke eines kohligen Chondriten zu erkennen. Dabei handelt es sich um eine Klasse von Meteoriten aus der Frühgeschichte unseres Sonnensystems. Auch Einschlüsse, die reich an Kalzium und Aluminium sind, sprechen für diesen Ursprung. Für Bindi steht deshalb ausser Frage, dass die neun Bruchstücke trotz ihrem unterschiedlichen Erscheinungsbild vom gleichen Meteoriten stammen.
Das vielleicht auffälligste Merkmal der Körnchen ist, dass alle metallische Kupfer-Aluminium-Legierungen enthalten. Neben dem quasikristallinen Icosahedrit fanden die Forscher Cupalit (CuAl), Khatyrkit (CuAl2) und sogar reines Aluminium. Das ist erklärungsbedürftig. Denn Aluminium oxidiert rasch, wenn es mit Sauerstoff in Berührung kommt. Die Existenz von metallischem Aluminium in den Proben setzt also extrem reduzierende Bedingungen im frühen Universum voraus.
Inzwischen glauben Steinhardt, Bindi und ihre Mitstreiter, die Entstehung der metallischen Legierungen erklären zu können. Sie stützen sich dabei besonders auf eines der neun Fragmente. In ihm entdeckten die Forscher Mineralien, die nur bei sehr hohem Druck entstehen können. Zudem fanden sie Hinweise, dass Teile des Meteoriten auf über 1200 Grad Celsius erhitzt wurden und danach rasch wieder abkühlten. All das spricht nach Ansicht der Forscher dafür, dass der Meteorit kurz nach seiner Entstehung mit einem anderen Meteoriten kollidierte. Lokal könnte es im Meteoriten dadurch so heiss geworden sein, dass aluminium- und kupferhaltige Mineralien schmolzen. Beim Abkühlen kristallisierten dann aus der Schmelze die Quasikristalle und die anderen metallischen Verbindungen aus. Alternativ ziehen die Forscher das folgende Szenario in Betracht: Die Metalllegierungen könnten bereits im solaren Nebel entstanden und dann vom Meteoriten aufgenommen worden sein. Bei der Kollision wurden sie aufgeschmolzen und verfestigten sich dann wieder. Diese Hypothese würde erklären, warum die Kupfer-Aluminium-Legierungen auch in Fragmenten des Meteoriten gefunden wurden, die keine Anzeichen eines Schocks zeigen.
Walter Steurer vom Laboratorium für Kristallografie der ETH Zürich spricht von einer soliden Untersuchung. Beide Hypothesen lieferten plausible Erklärungen dafür, wie sich die metallischen Verbindungen im frühen Sonnensystem gebildet haben könnten. Der Meteoriten-Experte Beda Hofmann, der am Naturhistorischen Museum Bern und am Institut für Geologie der Universität Bern tätig ist, sieht allerdings noch Erklärungsbedarf. Es gebe heute tonnenweise Material von kohligen Chondriten des gleichen Typs. Doch in keinem von ihnen habe man bisher vergleichbare metallische Phasen aus Kupfer und Aluminium beobachtet. Steinhardt wendet dagegen ein, dass möglicherweise nur jeder hundertste oder tausendste Meteorit, der auf der Erde gelandet sei, eine vergleichbare Vorgeschichte durchlaufen habe.
Steinhardt kann die Skepsis mancher Forscher nachvollziehen. Dem Hauptautor der jüngsten Publikation, dem Geologen Lincoln Hollister von der Princeton University, sei es anfangs nicht anders ergangen. Als er die Probe aus dem Museum in Florenz zum ersten Mal gesehen habe, sei er davon überzeugt gewesen, es müsse sich um ein Stück Schlacke aus der metallverarbeitenden Industrie handeln. Es sei ein langer Weg gewesen, sich vom extraterrestrischen Ursprung der Metalllegierungen zu überzeugen. Steinhardt betont, dass es immer noch offene Fragen gebe. Unklar sei zum Beispiel, wie die Elemente Kupfer und Aluminium, die chemisch sehr verschieden seien, ursprünglich zusammenfanden.
Quelle:Neue Zürcher Zeitung
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